Unsere Kette
Gestern, Heute und Morgen
Von Søren Kierkegaard stammt die Aussage "Das Leben kann nur in der Rückschau verstanden, muss aber vorwärts gelebt werden." Dies gilt auch für die Logen und deswegen ist es wünschenswert, dass der historische Rückblick ernst genommen wird. 150 Jahre "Zur Kette" erfordern eine kurze Rückschau auf Menschen, die in unserer "Kette" standen und sich durch große Leistungen in Beruf oder gesellschaftlichem Wirken dauernde Verdienste erworben haben.
Wenn ich heute in der Kette stehe, so erfüllt es mich durchaus mit Genugtuung, dass dort vor oder vielleicht noch mit mir Menschen standen wie der Mediziner Georg Hohmann, Gründer der Stiftung Pfennigparade, der Schriftsteller Michael Georg Conrad, Reichstagsabgeordneter und Sozialreformer, der Jurist August Paret, Großmeister, der Geschäftsführer Hanns Schorer, unsere Brücke zwischen der Zeit vor und nach dem Nationalsozialismus, der Hofschauspieler Gustl Waldau, der Schriftsteller und Drehbuchautor Marcel Valmy, Verfasser eines Textes zur Europahymne in mehreren Sprachen oder der Schauspieler Karlheinz Böhm als Gründer der Äthiopienhilfe "Menschen für Menschen".
Als Freimaurer bewegten und motivierten "unsere" Großmeister Konrad Merkel und Kurt Bornschein, aber auch die Distriktmeister Ernst Baer und Klaus Kastin, die so unnachahmlich zu Engagement anhalten konnten. Die Reihe kann nicht vollständig sein. Ihr Leben und Wirken soll Inspiration, vielleicht auch Vorbild sein für mein Tun und meine Haltung innerhalb und außerhalb der Loge. Wie wäre das möglich, wenn ich mich nicht mit diesen Menschen und ihrer Geschichte beschäftigt hätte?
Nicht vergessen seien auch die zehn "Kette"-Brüder, die Opfer des Nazi-Terrors wurden, acht davon jüdischen Glaubens. Aus der Forschung wissen wir, dass kein einziger Bruder in Deutschland allein wegen seiner Zugehörigkeit zum Freimaurerbund sein Leben ließ, sondern wegen seines Glaubens oder der ihm unterstellten Gegnerschaft zum Regime. Deren Schicksal sei uns Mahnung, wachsam zu bleiben gegen Intoleranz und Totalitarismus.
Die "Kette" gehörte seit Beginn stets einer humanitären, nicht nationalistisch ausgerichteten Großloge an. In dieser Tradition stehen wir noch heute und das soll weiter unser Maßstab sein. Männer stießen zu ihr ohne Rücksicht auf ihren Glauben und ihre politischen Überzeugungen. Wichtig waren ihnen von Anfang an auch die Förderung und Verteidigung von Menschen- und Bürgerrechten. Und heute? Wir haben erlebt, dass eine Virus-Pandemie unser gesellschaftliches Leben nahezu zum Erliegen brachte, was auch der "Kette" massiv zugesetzt hat. Die Gefahren, die allein aus einem solchen Geschehen für unsere Gesellschaft und ihren Zusammenhalt erwachsen, müssen uns zum Nachdenken und zu gesellschaftlichem Engagement bringen.
Als unsere Bauhütte vor 150 Jahren gegründet wurde, entsprang dies der Vorstellung, ein neues Denken in die sich mühevoll entwickelnde bürgerliche Gesellschaft zu tragen. Davon ausgehend muss die Frage gestellt werden, wohin die Entwicklung unserer Gesellschaft, der Freimaurerei oder dieser Loge im Besonderen in Zukunft gehen wird.
In 100 Jahren werden unsere Nachfolger diese Betrachtung altmodisch finden. Vielleicht jedoch werden einige Ansätze immer noch richtig und bedenkenswert sein. Wir leben heute in Umbruchzeiten, sowohl gesellschaftlich als auch technologisch. Mögen sich Einzelne als Opfer dieser Entwicklung sehen, so können wir erahnen, dass gerade mit der Technologie neue Handlungsmöglichkeiten und gesellschaftlich besondere Herausforderungen entstehen.
Chat und Blog ersetzen nur scheinbar die gepflegte Auseinandersetzung mit Gedanken und Anschauungen im persönlichen Gespräch. Das Verstehen anderer Menschen, ihrer Empfindungen, ihre Art der Meinungsbildung oder das Entwickeln gänzlich anderer gesellschaftlicher Vorstellungen lassen sich in diesen Formaten nur unzureichend abbilden.
Unser Staatswesen hat sich seit 1948 erneuert und gefestigt, allerdings sind Beharrungstendenzen anstelle von Beweglichkeit und Gestaltungswillen sowohl in der Politik als auch bei uns Bürgern zu erkennen. Der Erhalt der Natur und ihrer Ressourcen wird zuerst als Risiko für den Wohlstand wahrgenommen, denn als technologische wie wirtschaftliche Herausforderung, die Chancen für die Zukunft planmäßig erarbeitet oder fast zufällig findet. Täglich erleben wir Forderungen, welche weitere Aufgaben der Staat erfüllen soll, ohne eine redliche Diskussion darüber zu führen, wer die Kosten aufbringen soll und wie viel Freiheitsrechte auf diese Weise aufgegeben werden müssen. Abgaben, die Bürger und Unternehmen für neue Aufgaben zahlen müssen, sollen jeweils von anderen erbracht werden.
Leistungen für die Gesellschaft werden reduziert auf Entgeltfragen, bürgerliches Engagement eher auf Einhalten von Regeln gerichtet, denn auf gesellschaftliche Fortentwicklung. Verantwortung für eigenes Handeln wird bei notwendiger Einschränkung eigenen Wohlstands schnell gegen Generationengerechtigkeit ausgespielt.
Das Feld gesellschaftlicher Herausforderungen ist weit, ebenso die Chance für Freimaurer, im eigenen Umfeld in positiver Weise - also vorbildlich - einzuwirken. Niemand muss sich schämen, Risiken oder Fehlentwicklungen nicht von Anfang an richtig erkannt zu haben. Schämen muss sich, wer erkannte Herausforderungen ignoriert oder dem konstruktiven Diskurs aus dem Weg geht. Es bedarf nicht zuerst künstlicher Intelligenz, um einen ideal formulierten Vortrag zu halten, sondern der Menschlichkeit und Zugewandtheit, der Brüderlichkeit (von Brüdern und Schwestern), sich darin zu üben, anderen zuzuhören, Ideen aufzugreifen oder negative Gedanken aufzugeben.
Wenn wir uns optimistisch gestimmt auf diesen Weg machen, hat sowohl die Idee der Freimaurerei wie auch unsere gute Bauhütte "Zur Kette" eine große Zukunft und viele Chancen.